Donnerstag, 3. Januar 2013

Unschuldig verdammt?

Dies vorweg. Ich bin kein Theologe. Mein Anspruch ist es nur die Essence aus den mir zugänglichen Informationen zu bilden und diese hier kompakt, verständlich und interessant für mich und andere zusammenzufassen.

Die aktuell betrachtete Frage ist: Was passiert mit den unschuldig z.B. durch Abtreibung getöteten Kinder. Erreichen sie die ewige Seeligkeit oder die Verdammnis? Oder sind sie an einem anderen "neutralen" Ort oder Zustand? Eine sehr schwierige, weitreichende, vielleicht im Diesseits mangels Erkenntnis und Offenbarung garnicht, aber in jedem Fall nicht in einem kurzen Essay abschließend zu beantwortende Frage.
Konzentrieren wir uns deshalb zunächst auf die Ermittlung der Faktenlage des aufgrund der verbindlichen kirchlichen Lehre gesicherten Glaubens.

Heilsnotwendigkeit der Taufe
Es ist verbindliches katholisches Glaubensgut, dass jeder Mensch mit der Erbsünde belastet ist und dass die Taufe aus diesem Grunde absolut heilsnotwendig ist. Die in der Taufe fließende Gnade ist vollkommen ungeschuldet, denn sie ist immer ein reines Geschenk Gottes.

Die Kirche hat auch traditionell einige Ersatzformen für die Wassertaufe anerkannt: die Bluttaufe (durch das Zeugnis des Martyriums für Christus) und die Begierdentaufe (durch die Sehnsucht oder das Verlangen nach der sakramentalen Taufe).

Die Begierdentaufe kann nur dann als eingetreten betrachtet werden, wenn der betreffende Mensch im Falle der Begegnung mit dem authentischen christlich-katholischen Glauben sich tatsächlich zum Glauben an Jesus Christus bekennen und sich auch entsprechend taufen lassen würde! Dies kann logischerweise nur Gott allein wissen - in welchem einzelnen Fall dies nämlich tatsächlich zutrifft. Die Kirche kann hier nur grundsätzlich von einem Prinzip sprechen, weiß aber nicht, wer im Einzelfall diese Voraussetzungen für das Vorliegen der Begierdentaufe tatsächlich erfüllt oder nicht.

Katholische theologische Auseinandersetzung
Das Schicksal der ungetauften Kinder wurde Gegenstand anhaltenden theologischen Nachdenkens während der anti-pelagianischen Streitigkeiten des frühen fünften Jahrhunderts. Bei der Widerlegung des Pelagius gelangte Augustinus zu der Feststellung, ohne Taufe verstorbene Kinder seien für die Hölle bestimmt. Das Konzil von Karthago wies 418 ebenfalls die Lehre des Pelagius zurück. Es verurteilte die Meinung, kleine Kinder „zögen nichts von einer Ursünde aus Adam auf sich, was durch das Bad der Wiedergeburt gesühnt werde“. Positiv lehrte dieses Konzil, dass „auch kleine Kinder, die bis dahin in sich selbst noch keine Sünde begehen konnten, deshalb wahrhaft zur Vergebung der Sünden getauft werden, damit in ihnen durch Wiedergeburt gereinigt werde, was sie sich durch Geburt zugezogen haben“ Hinzugefügt wird, dass es nicht „irgendeinen mittleren oder einen irgendwo befindlichen Ort geben wird, wo die kleinen Kinder selig leben, die ohne Taufe aus diesem Leben geschieden sind, ohne die sie nicht in das Himmelreich, welches das ewige Leben ist, eintreten können“.

Die  lateinischen Väter (z.B. Hieronymus, Fulgentius, Avitus von Vienne und Gregor der Große übernahmen und bestätigten diese Ansichten. Augustinus war in dieser Frage der Bezugspunkt für lateinische Theologen während des Mittelalters. Anselm von Canterbury ist dafür ein gutes Beispiel: er glaubt, dass kleine Kinder, die ungetauft sterben, aufgrund der Ursünde und im Einklang mit Gottes Gerechtigkeit verdammt werden. Die gängige Lehre wurde durch Hugo von St. Viktor zusammengefasst: ungetauft sterbende Kinder können nicht gerettet werden, 1) weil sie das Sakrament nicht empfangen haben und 2) keinen persönlichen Glaubensakt setzen können, der an die Stelle des Sakramentes treten könnte. Dieser Lehre zufolge muss man während seines irdischen Lebens gerechtfertigt werden, um nach dem Tod in das ewige Leben eingehen zu können. Der Tod setzt ein Ende für die Möglichkeit der Wahl, die Gnade anzunehmen oder zurückzuweisen, d.h. Gott anzuhängen oder sich von ihm abzuwenden; nach dem Tod erfahren die grundlegenden Dispositionen der Person vor Gott keine weitere Modifikation.

Doch die meisten mittelalterlichen Autoren, beginnend mit Peter Abaelard, unterstreichen die Güte und Barmherzigkeit Gottes und interpretieren die „mildeste Bestrafung“ des Augustinus als Verlust der glückseligen Gottesschau (carentia visionis Dei) ohne Hoffnung, sie zu erlangen, doch ohne zusätzliche Strafen. Diese Lehre, welche die strikte Meinung des hl. Augustinus ausdifferenzierte, wurde durch Petrus Lombardus verbreitet: kleine Kinder erleiden keine Strafe außer dem Verlust der Gottesschau. Dies hinderte die mittelalterlichen Theologen nicht an der Annahme, dass es zwei (und nicht etwa drei) verschiedene Ausgänge menschlicher Existenz gibt: das Glück des Himmels für die Heiligen und der Verlust dieses himmlischen Glücks für die Verdammten und für ungetauft verstorbene Kinder. In den Entwicklungen der Theologie wurde der Verlust der visio beatifica (poena damni) als die eigentliche Strafe für die Ursünde verstanden, während die „Qualen der ewigen Hölle“ die Bestrafung für aktuell begangene Todsünden darstellte. Im Mittelalter bekräftigte das kirchliche Lehramt mehr als einmal, dass diejenigen, „die in Todsünde sterben“, und diejenigen, die „nur mit der Ursünde“ sterben, „unterschiedliche Strafen“ erhalten. Da Kinder, die noch nicht das Alter des Vernunftgebrauchs erreicht haben, keine aktuelle Sünde begangen haben, kamen Theologen zu der gängigen Sicht, dass diese ungetauften Kinder überhaupt keine Schmerzen fühlen oder dass sie sogar ein volles natürliches Glück durch ihre Verbundenheit mit Gott in allen natürlichen Gütern genießen (Thomas von Aquin, Duns Scotus). Selbst wenn sie sich eine solche Sicht zu eigen machten, betrachteten die Theologen den Verlust der glückseligen Schau als ein Elend („Bestrafung“) innerhalb der göttlichen Ökonomie. 

Als im 16. Jahrhundert die Ausdifferenzierung der Lehre des Augustinus zum Limbus führte lebten in Opposition hierzu die Denkweise des Augustinus in seiner strengen Form wieder auf. Eine Folge dieser Wiederbelebung des Augustinismus war der Jansenismus. Gemeinsam mit katholischen Theologen der augustinischen Schule widersetzten sich die Jansenisten entschieden der Theorie des Limbus. Der Limbus war die Sichtweise, welche die unschuldigen Kinder nicht mehr der Verdammnis, sondern einem neutralen Ort zuordneten. Während dieser Periode verteidigten die Päpste (Paul III., Benedikt XIV., Clemens XIII) das Recht der Katholiken, die strenge Sicht des Augustinus zu lehren. Als andererseits die jansenistische Synode von Pistoia (1786) die mittelalterliche Theorie des „Limbus“ anklagte, verteidigte Pius VI. das Recht der katholischen Schulen zu lehren, dass diejenigen, die allein mit der Schuld der Ursünde verstorben sind, durch den Verlust der glückseligen Schau bestraft werden, doch nicht durch sinnliche Schmerzen. In der Bulle „Auctorem Fidei“ (1794) verurteilte der Papst als „falsch, leichtfertig und gegenüber den katholischen Schulen ungerecht“ die jansenistische Lehre, „die jenen Ort in der Unterwelt (den die Gläubigen allenthalben als ‚Limbus der Kinder’ bezeichnen), in dem die Seelen der nur mit der Urschuld Verschiedenen mit der Strafe der Verdammung ohne die Feuerstrafe bestraft werden, als pelagianisches Märchen [fabula pelagiana] verwirft, so als ob die, welche die Feuerstrafe beseitigen, dadurch jenen Ort und mittleren Zustand ohne Schuld und Strafe zwischen dem Reich Gottes und der ewigen Verdammnis einführten, von dem die Pelagianer fabelten“. Die päpstlichen Stellungnahmen in dieser Periode haben also den Limbus im Sinne eines dritten Ortes, eines dritten Heilsausgang für die Menschen verworfen, aber die Theorie der Ausdifferenzierung der Verdammnis in "Verlust der Gottesschau" und "Qualen der ewigen Hölle" gestützt.

Das hier beschriebene Ringen um ein Verständnis über das Schicksal der unschuldig gestorbenen Kindern ist Ausdruck dafür, dass sich die  katholische Kirche bzw. ihr Lehramt diesbezüglich noch nicht auf eine klare Lehre festgelegt bzw. noch keine allgemeinverbindliche Lehre erlassen hat. Dies ist umso verständlicher als es allem Anschein nach in der göttlichen Offenbarung keine konkreten Aussagen hierzu gibt. Dies ist umso richtiger als die Kirche nur mit Hilfe des hl.Geistes die Offenbarung Gottes den Gläubigen auslegen und diesen Glauben gegen Irrtümer verteidigen darf - und nicht mehr.

Persönliche Auseinandersetzung
Zunächst einmal hat die persönliche Auseinandersetzung mit diesem Thema mich aus einer offensichtlich falschen Welt bloser menschlicher Gerechtigkeit gerissen. Menschliche Gerechtigkeit, in der es gerecht ist wenn alle gleich viel bekommen. Wo Menschen gerechterweise nur das bekommen was sie durch ihr individuelles Verhalten verdienen - im Guten wie im Schlechten.  In dieser unvollkommenen Welt, mit ihren Ungerechtigkeiten erwarten wir von Gott, dass er diese Art der menschlichen Gerechtigkeit perfektioniert und nach dieser Art der Gerechtigkeit urteilt und das ewige Heil in diesem Sinne gerecht verteilt. Heute empfinden wir diese ichbezogene Gerechtigkeit vielfach als eine Art von Recht. Menschenrecht. Wenn wir im Gegensatz dazu Schuld ererben empfinden wir es als Ungerecht. Oder wenn wir ohne eigenes Verdienst bevor- oder benachteiligt werden, empfinden wir es als Ungerecht.

Aber. Entspräche diese Art der Gerechtigkeit der Wahrheit, dem Ist, dem Sein - dann wäre die Erbsünde Ungerecht. Dann wären getötete unschuldige Kinder die nicht zu Anschauung Gottes kommen Ungerecht. Dann wäre aber auch Taufe ungerecht weil der Täufling die Gnade ohne eigenes Verdienst erhält. Dann wäre Gnade die wir aufgrund von Gebeten Anderer erhalten oder Anderen zuwenden wollen ungerecht! Aber Gottes Gerechtigkeit, die wahre Gerechtigkeit ist eben eine andere Gerechtigkeit.

Deshalb braucht es also wieder Demut. Demut um unseren Gerechtigkeitsbegriff recht zu justieren. Demut zu erkennen dass zunächst und zuallererst alles, aber auch wirklich alles was wir haben, sind und sein werden auf einem unverdienten Geschenk Gottes basiert. Und ich erkannte auch, dass wir in einer heilsrelevanten Beziehung zu Anderen stehen. Wir also "nicht alleine unseres Glückes Schmied sind!" In erster Linie zu nennen ist unsere Beziehung zu Gott, der alle Gnade verteilt, zweitens dann zu uns selbst in dem wir Gottes Gnade annehmen und ein gerechtfertigtes Leben führen aber auch drittens - und das war mir in seiner Tragweite nicht oder nicht mehr so bewusst - zu anderen Menschen für die wir und die für uns Gnade vermitteln können.

Gerade Erstes und Letzteres kommt im heute oftmals unzulänglichen Gerechtigkeitsbegriff und Empfinden nicht vor, ist aber essentielles kath. Glaubensgut. Heute da viele eine persönliche, individuelle Gerechtigkeit in diesem unzulänglichen Sinne fordern ist die Betrachtung dieser Tatsache ein wichtiger Baustein zur Erkenntnis der Wahrheit. Bezüglich der Relevanz Dritter für unser Heil habe ich auch einen schönen biblischen Beleg gefunden: "Als Jesus ihren Glauben sah (den der Anderen, der Volksmenge), sagte er zu dem Gelähmten: Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!" (Mk 2,5) Da Dritte offensichtlich auf unser Seelenheil Einfluss nehmen können, sind somit auch wir mitverantwortlich für das Seelenheil unserer Mitmenschen(!)

Zur eigentlichen Frage der unschuldigen Kinder meine ich, dass es nicht verwundert wenn die Offenbarung keine konkreten Hinweise zur Frage der unschuldigen Kinder liefert. Denn diese Frage hat für unser Verhalten keine wirkliche Relevanz.

Ein Frosch der in einem tiefen Brunnen sitzt ist sicherlich gut beraten,  wenn er nicht von dem kleinen runden Sichtfensters auf die Ausmasse des Himmels schließt. Uns Menschen ist es in Analogie hierzu in unserer Zeit auf der Erde auch nicht gegeben die Grösse, Barmherzigkeit und Herrlichkeit Gottes und der ewigen Seeligkeit in seinen wirklichen Dimensionen zu erfassen.

Wäre Gott ein Despot, sollte uns das ungewisse Schicksal der unschuldigen Kinder beunruhigen. Aber Gott ist kein Despot, er liebt uns so sehr das er uns seinen eingeborenen Sohn, der für uns und unsere Erlösung am Kreuz gestorben ist, gesandt hat. Das sollte uns genügend Glaube, Hoffnung und Liebe geben dass wir nicht ob einer vermeintlichen Heils(un)gerechtigkeit beunruhigt sind, die wir nicht zu durchdringen und zu erfassen vermögen.

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